"Wenn Wachzustand, Traum und tiefer Schlaf wie Wolken vorüberziehen, wenn aber trotzdem die Wahrnehmung vom Atman verbleibt, dann kann man vollkommene Entspannung erleben. Wonne nenne ich vollkommene Entspannung. Durch Wonne wird das wahre Selbst entspannt. Deshalb heißt es in Tantra, dass Yoga Nidra die Schwelle zu Samadhi ist."
Swami Satyananda Saraswati über Yoga Nidra, eine Pratyahara Technik & Meditation aus den Tantras. In: Yoga Nidra von Satyananda Saraswati, Hrsg.: Satyananda Yoga Zentrum e.V., Hergensweiler, 1992.
Auf meinem Youtube Kanal ´Ma Dhyan Bodha´ findest du eine playlist mit Videos von angeleiteten Yoga Nidra Übungen.
Dr. David Frawly
"Was ist Pratyahara?
Der Begriff Pratyahara besteht aus zwei Sanskritwörtern, nämlich prati und ahara. Ahara bedeutet “Nahrung” oder “etwas, was wir uns von außen
zuführen”. Prati ist eine Präposition, die “gegen” oder “weg” bedeutet. Pratyahara bedeutet wörtlich “Beherrschung des Ahara” oder “Meisterung äußerer Einflüsse”. Man kann es mit einer
Schildkröte vergleichen, die ihre Beine einzieht. Der Schild ist der Geist, die Sinne sind die Gliedmaßen. Das Wort wird meist mit “Rückzug der Sinne” übersetzt, aber das ist nicht alles.
Im Yoga gibt es drei Ebenen des ahara. Die erste ist die physische Nahrung, die dem Körper die benötigten fünf Elemente liefert. Die zweite sind Eindrücke, die subtilen Substanzen, die mit Tönen, Bildern, Berührungen, Geschmäckern und Gerüchen den Geist ernähren. Auf der dritten Ebene befinden sich unsere Beziehungen, also die Menschen, die uns nahe stehen und Nahrung für unsere Seele sind, weil sie uns Sattva, Rajas und Tamas geben.Pratyahara verlangt von uns den Verzicht auf ungesunde Nahrung, Eindrücke und Beziehungen. Stattdessen müssen wir für gesunde Nahrung, Eindrücke und Beziehungen offen sein. Ohne richtige Ernährung und richtige Beziehungen können wir die Sinneseindrücke nicht in den Griff bekommen und den Geist nicht befreien.
1. Beherrschung der Sinne
Indriya-Pratyahara ist die wichtigste Form von Pratyahara, was wir in unserer von den Massenmedien geprägten Kultur vielleicht nicht ger-ne hören.
Die meisten Menschen sind mit Sinneseindrücken überladen, weil sie unaufhörlich vom Fernsehen, vom Rundfunk und von Computern, von Zeitungen, Zeitschriften und Büchern damit bombardiert werden.
Unsere Kommerzgesellschaft ist darauf angewiesen, durch Reizung der Sinne Interesse zu wecken. Wir werden ständig mit grellen Farben, lauten Geräuschen und dramatischen Gefühlen konfrontiert. Wir
schwelgen darin, wir sind daran gewöhnt.Die Sinne haben jedoch wie schlecht erzogene Kinder ihren eigenen Willen, der weitgehend dem Instinkt folgt. Sie sagen dem Geist, was er tun soll. Wenn wir
sie nicht zur Räson bringen, beherrschen sie uns mit endlosen Forderungen. Wir finden diese endlose Sinnesaktivität schon so normal, dass wir gar nicht mehr wissen, wie man den Geist beruhigt.
Wir sind zu Geiseln der sinnlichen Welt und ihrer Verführungen geworden. Wir laufen allem nach, was die Sinne reizt und vergessen die höheren Lebensziele. Darum ist Pratyahara für den heutigen
Menschen wohl das wichtigste Glied des Yoga.
Richtige Sinneseindrücke
Beim Pratyahara geht es vor allem um die richtige Aufnahme von Sinneseindrücke. Wir achten zwar darauf, was wir essen und mit wem wir uns
anfreunden, doch bei den Sinneseindrücken sind wir nicht so wählerisch. Wir nehmen über die Massenmedien bereitwillig auf, was wir in unserem eigenen Leben niemals dulden würden. Wir lassen durch
Filme Leute in unser Haus, denen wir im wirklichen Leben die Tür weisen würden. Welche Eindrücke nehmen wir jeden Tag auf. Können wir im Ernst erwarten, dass sie keine Wirkung auf uns haben?
Starke Sinnesreize trüben den Geist, und ein trüber Geist löst sorglose, rücksichtslose oder gar gewalttätige Handlungen aus.
Rückzug der Sinne
Zum Glück sind wir der Überfülle von Sinneseindrücken nicht hilflos ausgeliefert. Pratyahara versorgt uns mit vielen Abwehrmethoden. Die einfachste ist
der zeitweilige Rückzug vor allen Sinneseindrücken. So wie der Körper vom Fasten profitiert, kann der Geist vom Rückzug der Sinne profitieren. Das kann eine Meditation mit geschlossenen Augen
sein oder ein Aufenthalt in einer Berghütte, fern jeder Reizüberflutung. Auch “Medienfasten” – der Verzicht auf Fernsehen, Radio usw. – reinigt und verjüngt den Geist.
Konzentration auf einförmige Eindrücke
Wir können den Geist auch dadurch reinigen, dass wir uns auf eine Quelle einförmiger Eindrücke konzentrieren, also zum Beispiel
das Meer oder den blauen Himmel betrachten. So wie das Verdauungssystem durcheinander gerät, wenn wir unregelmäßig und ständig etwas anderes essen, haben wir auch Probleme, Sinneseindrücke zu
verarbeiten, wenn sie widersprüchlich sind oder uns überschwemmen. Die Verdauung können wir durch eine Monodiät in Ordnung bringen, etwa durch das ayurvedische Rezept von Reis mit Mungbohnen
(kicharee), die geistige Verdauung braucht eine Diät aus natürlichen, homogenen Ein-drücken. Diese Methode ist oft nach einer Phase des völligen Verzichts auf Sinneseindrücke
hilfreich.Positive Eindrücke erzeugen.
Innere Eindrücke erzeugen
Auch wenn wir uns auf innere Eindrücke konzentrieren, wenden wir die Aufmerksamkeit von äußeren Reizen ab. Wir können dazu die Vorstellungskraft
nutzen oder mit den feinstofflichen Sinnen Kontakt aufnehmen, die sich melden, sobald die physischen Sinne still sind.Visualisierung ist die einfachste Methode, um innere Einrücke zu erzeugen. Im
Yoga beginnt die Meditation meist mit Visualisieren. Wir “sehen” beispielsweise eine Gottheit, einen Guru oder eine schöne Landschaft, oder wir stellen uns Götter und ihre Welten vor oder
zelebrie-ren im Geist Rituale, etwa indem wir imaginären Gottheiten imaginäre Blumen oder Edelsteine opfern. Der Künstler, der in eine innere Landschaft vertieft ist, oder der Musiker, der
komponiert, wenden diese Methode ebenfalls an. Das alles ist Pratyahara, weil es den Geist von äußeren Eindrücken befreit und als Grundlage der Meditation positive innere Eindrücke erzeugt.
Dieses einleitende Visualisieren ist bei den meisten Formen der Meditation hilfreich, und es lässt sich auch in andere spirituelle Praktiken integrieren.
2. Beherrschung von Prana
Die Herrschaft über die Sinne setzt voraus, dass wir Prana erzeugen und dieses Prana beherrschen, denn die Sinne folgen
dem Prana, unserer vitalen Energie. Wenn Prana nicht stark ist, können wir die Sinne nicht beherrschen. Wenn unser Prana gestört oder verstreut ist, gilt für die Sinne das
gleiche.Pranayama ist die Vorbereitung auf Pratyahara. Beim Pranayama sammeln wir Prana, beim Pratyahara ziehen wir es zurück. Yoga-Texte beschreiben, wie man Prana aus verschiedenen
Körperteilen zurückziehen kann. Wir beginnen an den Zehen und leiten das Prana an eine beliebige Stelle: in den Scheitel, ins Dritte Auge, ins Herz oder in ein anderes Chakra.
3. Beherrschung des Handelns
Wir können die Sinne nicht meistern, wenn wir die Bewegungsorgane nicht beherrschen, denn diese bringen uns in Kontakt mit der äußeren Welt.
Die Impulse, die wir durch die Sinnesorgane empfangen, werden durch die Bewegungsorgane ausgedrückt, und dadurch verwickeln wir uns immer mehr in sinnliche Reize. Da das Verlangen endlos ist,
werden wir nicht dadurch glücklich, dass wir bekommen, was wir wollen, sondern dadurch, dass wir nichts mehr brauchen, was der äußeren Welt angehört.So wie die Aufnahme der richtigen
Eindrücke uns hilft, die Sinnesorgane zu beherrschen, verschaffen uns die richtige Arbeit und das rich-tige Handeln die Herrschaft über die Bewegungsorgane. Wenn wir selbstlos dienen und das
Leben als heiliges Ritual betrachten, praktizieren wir Karma-Yoga. Karma-Pratyahara bedeutet, dass wir bei allem, was wir tun, nie an eine Belohnung denken, weil wir damit nur Gott oder der
Menschheit dienen wollen. Die Bhagavadgita sagt: “Handle, ohne Lohn zu erwarten.” Dies ist eine Form von Pratyahara. Auch strenge Praktiken gehören dazu, die zur Beherrschung der
Bewegungsorgane führen. Beispielsweise können Asanas dazu genutzt werden, Hände und Füße zu beherrschen, und das kommt uns zugute, wenn wir meditieren.
4. Rückzug des Geistes
Die Yogis bezeichnen den Geist als das sechste Sinnesorgan, das alle anderen Sinnesorgane steuert. Wir nehmen nur diejenigen
Eindrücke auf, denen unsere Aufmerksamkeit gilt. In gewisser Weise praktizieren wir also immer Pratyahara. Doch unsere Aufnahmefähigkeit ist begrenzt, und darum können wir auf bestimmte
Eindrücke nur achten, indem wir unsere Aufmerksamkeit von anderen Eindrücken abziehen. Wenn wir etwas sehen wollen, übersehen wir etwas anderes.
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